Ärger mit dem Chef: Wenn der Chef nervt, brauchst du Strategien für einen besseren Umgang mit Vorgesetzten. Cheffing ist Führung von unten und führt zu einer Win-Win-Win-Situation. Wertschätzung von unten nach oben in der Hierarchie.
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Ärger mit dem Chef
„Was mache ich mit meinem Chef, der jeden Morgen zu mir ins Büro rauscht und nach dem gestrigen Umsatz fragt? Er weiß doch aus Erfahrung, wie viel Umsatz ich ungefähr an einem Tag machen kann. Wieso kommt er dann jeden Morgen in mein Büro?“ fragte mich einmal ein Seminarteilnehmer verständnislos.
Ein Chef, der sich so verhält, ist vermutlich besorgt und braucht – finanzielle – Sicherheit für das Unternehmen. Er macht nichts anderes, als was manch einer tut, dessen Girokonto in die roten Zahlen zu geraten droht. Er checkt mehrmals täglich den aktuellen Stand – auch wenn er weiß, dass sich nicht viel verändert haben kann. Es ist eine „untaugliche“ Strategie, sich die Sicherheit zu erfüllen, für die zurzeit keine anderen „tauglichen“ Strategien zur Verfügung stehen.
Dieses Wissen reicht oft schon, um Teilnehmer von der persönlichen Betroffenheit zu entlasten und Verständnis für ihre Vorgesetzten zu entwickeln. Selbst bei GFK-Geübten, die im Umgang mit anderen Verständnis und Empathiefähigkeit reklamieren, treffe ich Empathie für Vorgesetzte und Führungskräfte selten an. Wenn Führungskräfte sich so verhalten, wie Mitarbeiter es sich normalerweise nicht wünschen, fallen regelmäßig die Giraffenohren ab.
Führung von unten: Das Ellipsenmodell
Mein Konzept der Führung von unten beruht auf der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall Rosenberg. Das Ellipsenmodell der Bedürfnisse macht auf die besondere Bedürfnislage von Führungskräften und Unternehmern aufmerksam und stellt sie denen von Mitarbeitern gleichwertig gegenüber. Ich habe dieses Modell entwickelt und arbeite auch danach, weil bisher ein Konzept fehlte, dass sich speziell an Mitarbeiter wendet und mit dessen Hilfe es gelingt, in der Hierarchieebene wertschätzend von unten nach oben zu kommunizieren.
Meine Erfahrung damit: Kommunikation auf Augenhöhe führt zur Partnerschaftlichkeit, Gleichwertigkeit und letztendlich zu einer effektiveren Zusammenarbeit zum Nutzen aller. Die Angst vor Machtverlust ist unnötig.
Allerdings haben wir nicht gelernt, auf diese Art zu kommunizieren, da die Strukturen, in denen wir aufwuchsen, andere waren als es die Kommunikationspsychologie heute für ein gedeihliches Miteinander empfiehlt und auch ermöglicht. Die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg bietet die Möglichkeit der respektvollen, wertschätzenden Kommunikation auf Augenhöhe. Doch wie alles Neue, ist sie erst einmal ungewohnt und erfordert Umdenken und Übung.
Mitarbeiter verlassen die passive Opferhaltung und lernen das Arbeitsverhältnis positiv zu mitzugestalten. Sie erleben damit Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit. Dies schützt vor sie Demotivation und Burn-out. Und die Führungskräfte? Sie werden von ihren Mitarbeitern als Mensch gesehen. Sie erfahren Wertschätzung und Anerkennung, Unterstützung und Loyalität.
Nachfolgend erläutere ich mit Hilfe des Ellipsenmodells der Bedürfnisse das „Prinzip Verantwortung“. Dies zu verstehen, ist der erste Schritt.
Führung von unten: Das Konzept Verantwortung
Das Prinzip Verantwortung macht deutlich, dass der Unternehmer für das Unternehmen (die Führungskraft für ihren Bereich) verantwortlich ist und zugleich der Mitarbeiter vom Wohlergehen des Unternehmens abhängt. Wenn das Unternehmen sich im Umsatz verschlechtert, gar insolvent wird, ist auch die Existenzgrundlage des Mitarbeiters in Gefahr. Der Unternehmer wiederum, die die Führungskraft, ist auf Leistung und Ergebnisse der Mitarbeiter angewiesen, um den Umsatz zu gewährleisten.
Zwischen Führungskraft und Mitarbeiter besteht also eine gegenseitige Abhängigkeit in Bezug auf ein gemeinsames Ziel: die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens.
Es gibt einen wenig verhandelbaren Kern an Passung hinsichtlich Kompetenz, Arbeitszeit, Gehalt des Verhältnisses Führungskraft-Mitarbeiter. Die Beziehung zwischen beiden kann durch wertschätzende Kommunikation oder Verhaltensänderung positiv gestaltet werden. Das wäre gewissermaßen der Bereich, in dem neue Kompetenzen gelernt werden können. Davon profitieren drei Seiten: Führungskraft, Mitarbeiter und Unternehmen. Es handelt also sich um eine win-win-win-Situation.
Doch wie geht Führung von unten nach oben konkret? Was können Mitarbeiter tun, um die Arbeitsbedingungen positiv zu beeinflussen?
„Egal, was ein Mensch tut, es ist das Schönste und Beste was ihm im Moment zur Verfügung steht, um seine Bedürfnisse zu erfüllen.“ Diese Weisheit von Marshall Rosenberg trifft auch auf Vorgesetzte, Chefs und Chefinnen zu. Und es ist so einfach, den Chef als einen Menschen zu sehen, wenn man das Ellipsenmodell der Bedürfnisse verstanden hat.
Empathie schafft Nähe und Verbundenheit, vielleicht mehr, als es im beruflichen Kontext üblich und erwünscht ist. Die laut ausgesprochene empathische Vermutung „Fühlen Sie sich hilflos und brauchen finanzielle Sicherheit für das Unternehmen/Ihren Bereich?“ wäre denn auch als Reaktion meines ratlosen Seminarteilnehmers meiner Ansicht nach zu viel des Guten. Stilles Verständnis, die gewünschten Zahlen täglich von sich aus präsentieren oder ein nettes Wort oder eine Tasse Tee reichen aus.
Führung von unten führt zu einem Perspektivenwechsel
In der einschlägigen Fachliteratur ist immer wieder von mehr Menschlichkeit in den Unternehmen der Zukunft und Gegenwart die Rede. Einer Forderung, der ich zu Hundert Prozent zustimme. Auch ich plädiere für mehr Menschlichkeit in den Unternehmen. Ich plädiere aber auch für mehr Menschlichkeit Führungskräften und Geschäftsinhabern gegenüber.
Wenn Mitarbeiter ihre Vorgesetzten auf die pünktliche Gehaltszahlung am Monatsende reduzieren, ist es nicht überraschend, dass ihre Chefs sie selbst auf die Erbringung ordentlicher Leistung reduzieren. Meine Seminarteilnehmer erhalten ein Arbeitsblatt, das sie regelmäßig ins Straucheln bringt: „Bitte benennen Sie zehn Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die Sie an Ihrer Führungskraft schätzen!“
Dann setze ich gern noch eins drauf und spiele die „Ultimative Lobhudelei“ (angelehnt an die WDR-Sendung „Zimmer frei“): Stellen Sie sich vor, Ihre Chefin hat sie beauftragt, in einer angesagten Metropole (München, New York, Moskau), sich in ihrem Namen um ein freies Zimmer in einer Wohngemeinschaft zu bewerben. Sie haben genau eine Minute Zeit, wie alle anderen Bewerber auch, die Wohngemeinschaft zu überzeugen, warum das freie Zimmer ausgerechnet an Ihre Chefin vergeben werden sollte.
Führung von unten heißt auch: Butter bei die Fische!
„Nun erzählen Sie mal!“ Nicht selten wird das jährliche Gehaltsgespräch mit diesen Worten eingeleitet, wobei sich die Vorgesetzte mit spitzem Stift in ihrem Chefsessel abwartend zurücklehnt.
Nach meiner Erfahrung lassen Mitarbeiter diese Gelegenheit oft ungenutzt verstreichen. „Was soll ich denn da noch groß sagen? Sie sieht doch, was ich den ganzen Tag hier leiste.“
Nicht unbedingt. Um im noch üblichen Rollenklischee zu bleiben – ohne es gut heißen zu wollen: Sieht der berufstätige Ehemann, was die Hausfrau den ganzen Tag leistet? Er findet eine blitzende Wohnung, nette Kinder mit sauberen Händen und etwas Leckeres zu Essen auf dem Tisch. Wie viel Arbeit hierfür erforderlich ist, entzieht sich seiner Kenntnis und Erfahrung, weil er am Produktionsprozess nicht direkt beteiligt ist.
Ähnlich geht es Führungskräften. Sie sind oft sachfremd und nicht beteiligt an den Arbeitsprozessen der Mitarbeiter. Deshalb empfehle ich meinen Klienten, die eigenen Erfolge zu erkennen und nach oben zu kommunizieren: Welche Kunden haben Sie wie beschwichtigt oder gewonnen? Welches Arbeitsmaterial würde Ihre Arbeit beschleunigen und erleichtern und weshalb? Mit welchen Strategien haben Sie welchen Umsatz geschaffen? Welche betriebliche Neuerung hatte ihren Ursprung in Ihrer Idee?
„Ich mache gute Arbeit. Ich bin zuverlässig, pünktlich und selten krank.“ Das ist heutzutage zu selbstverständlich. Geben Sie „Butter bei die Fische“! Lernen Sie Ihre gute Arbeit mit Zahlen, Daten, Fakten zu belegen. Lernen Sie Ihr Arbeitsergebnis als „konkrete Beobachtung“ im Sinn der GFK zu formulieren. Dies erfordert eine gute Beobachtungsgabe und Analysefähigkeit, einen entsprechenden Wortschatz und Kenntnis dessen, was in der Branche üblich ist.
Es lohnt sich. Unwiderlegbare Beweise dokumentieren Ihre Arbeitsergebnisse und Ihre Qualitäten. Sie können um Feedback oder Anerkennung bitten. Nicht nur im jährlichen Gespräch. Und auch Ihre Vorgesetzten profitieren von diesen neuen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter. Denn so können sie Schaumschläger von echten Leistungsträgern unterscheiden.
Konkrete Strategien für Führung von unten: Bitten hinterfragen, Grenzen setzen
Leider haben wir in unserer Alltagssprache nicht gelernt, unsere Wünsche klar und eindeutig in Worte zu fassen. Die GFK nach Marshall Rosenberg ist ein Handwerkszeug, das hilft, konkret um das zu bitten, was das (Arbeits-)leben verschönert. Damit können auch Mitarbeiter ihren Führungskräften helfen, eine konkrete Bitte zu formulieren.
„Sagen Sie mir bitte das nächste Mal vorher Bescheid!“, bittet die Inhaberin einer Arztpraxis ihre Mitarbeiterin. Als die Mitarbeiterin sie das nächste Mal persönlich informiert, wird die Ärztin nervös und bittet darum, doch das nächste Mal wegen so einer Lappalie nicht gestört zu werden. Eine E-Mail hätte ihr völlig ausgereicht. Eine Mitarbeiterin mit Führungskompetenz hätte erkannt, dass es sich bei der Arbeitsanweisung „Bescheid sagen“ um keine konkrete Bitte im Sinn der GFK handelt. Sie hätte nachfragen können, wie sich die Ärztin die Information wünscht.
„Arbeiten Sie das nächste Mal weniger schlampig!“ Auch diese Kritik ist keine konkrete Bitte im Sinn der GFK und lässt Mitarbeiter eher ratlos und frustriert zurück. Mitarbeiter mit Führungskompetenz können nachfragen: „Worauf beziehen Sie sich? Was genau wünschen Sie sich anders?“ Klarheit in der Kommunikation erleichtert das Miteinander.
Eine besondere Spezialität ist der cholerische Chef. Mitarbeiter klagen oft über Wutausbrüche ihrer Vorgesetzten, die sie hilflos über sich ergehen lassen. Ihnen empfehle ich folgenden Textbaustein auf GFK-Basis: „Ich bin frustriert und möchte respektvoll behandelt werden. Können wir bitte weiterreden, wenn Sie sich beruhigt haben?“
Meine Teilnehmer entgegnen dann mit großen Augen: „So kann ich doch nicht mit meinen Vorgesetzten reden!“
- „Wer von Ihnen hat schon mal einen Wutausbruch gehabt?“ Alle.
- „Wer von Ihnen hat sich nach dem Wutausbruch gut gefühlt?“ Keiner.
- Dann sage ich: „Sehen Sie, genauso geht es Ihrem Vorgesetzten.“
Wut ist ein Sekundärgefühl und entsteht, wenn Menschen sich hilflos fühlen und Primärgefühle wie Angst oder Trauer nicht zulassen wollen. Führungskräfte tragen viel Verantwortung und stehen unter großem Druck (Ellipsenmodell). Doch sie sind Menschen und fühlen sich nach einem Wutausbruch eher schlecht. Die Contenance zu verlieren, zehrt am Selbstrespekt.
Schützen Sie Ihren Respekt, den Selbstrespekt Ihrer Vorgesetzten und die Beziehung. Signalisieren Sie: So nicht – aber gerne in ruhigem Ton. So behandeln Sie Ihre Vorgesetzten respektvoll und zeigen deutlich, dass auch Sie es verdient haben, mit Respekt behandelt zu werden.