Gender Data Gap: Warum Männer die Norm sind und Frauen durch die Statistik fallen

Gender Data Gap: eine bunte Frau in der Fußgängerzone inmitten dunkler Menschen, Stimmung trostlosGender Data Gap: Frauen fallen durch die Datenlücke (c)Graehawk/Pixabay

Unsere Welt ist von Männern für Männer gemacht und tendiert dazu, die Hälfte der Bevölkerung zu ignorieren. Das beweist die Feministin Caroline Criado-Perez in ihrem Buch “Unsichtbare Frauen”. Ein Must-Read für alle, denn es kann die Welt verändern.

Die Autorin ist Caroline Criado-Perez ist in Brasilien geboren, lebt in Großbritannien und arbeitet als Journalistin, Feministin und Aktivistin. In ihrem Buch “Unsichtbare Frauen” beschäftigt sie sich mit gendermäßigen Verzerrungen in wissenschaftlichen Datenerhebungen, die die systematische Diskriminierung von Frauen bedingen und weiter verschärfen (Gender Data Gap).

Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert von Caroline Criado-Perez , übersetzt von Stephanie Singh. Dieses Buch erschien 2016 auf englisch und ist ein Sunday Times Bestseller. Mittlerweile wurde es in mehrere Sprachen übersetzt und ist 2020 im btb Verlag auf deutsch erschienen.

Inhaltsverzeichnis Unsichtbare Frauen

  • Alltagsleben
  • Am Arbeitsplatz
  • Design
  • Arztbesuch
  • Öffentliches Leben
  • Wenn etwas schief geht

Männlich ist Standard und Norm

Grundhypothese von Caroline Criado-Perez ist, dass das Männliche als Standard und Norm und das Weibliche als das andere gilt.

Diese These wurde bereits von der Feministischen Autorin Simone de Beauvoir vertreten. Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau lautet der Titel eines ihrer Bücher, 1949 erschienen. 

Der Mann als Norm und die Frau als das andere. Diese Grundannahme ist so selbstverständlich, dass wir es nicht merken.

Die männliche Sicht der Dinge gilt als Wahrheit. Doch dabei ist es nur eine Sicht der Dinge, die der männlichen Identität entspricht. Genauso gibt es eine weibliche, feminine Sicht der Dinge, die der weiblichen Identität entspricht. In unserer Gesellschaft gelten Frauen bereits als feministisch, wenn sie darauf bestehen, dass es eine feminine Sicht der Dinge gibt. Und sich weigern, sich die männliche Sicht der Dinge zu eigen zu machen und sich so an männliche Strukturen anzupassen.

In unserer Gesellschaft gelten Frauen bereits als feministisch, wenn sie darauf bestehen, dass es eine feminine Sicht der Dinge gibt. 

Caroline Criado-Perez

Die Welt ist auf das Männliche angelegt

Der Mann als Norm und die Frau als das andere. Sie glauben das nicht? Hier ein paar Beispiele, von denen das Buch „Unsichtbare Frauen“ nur so wimmelt.

Zum Beispiel sprechen wir von einer Fußballnationalmannschaft und einer Frauen-Fußballnationalmannschaft. Alles, was nicht männlich ist, wird explizit als weiblich kommuniziert. Warum sprechen wir nicht gleichberechtigt von einer Männer-Fußballnationalmannschaft und einer Frauen-Fußballnationalmannschaft?

Sogar genderneutrale Emoji werden entsprechend von Rollenklischees entweder männlich oder weiblich ausgelegt, also der Gewichtheber, der Boxer und die Putzfrau.

Die Übersetzungssoftware von google übersetzt das geschlechtsneutrale “doctor” in “der Arzt” und das geschlechtsneutrale “nurse” in “die Krankenschwester”. Dies ist ein Beispiel, wie Künstliche Intelligenz bestehende Rollenbilder weiter verfestigt.

Uniformen und Busse sind nicht gendergemäß

Der Gender Data Gap bedingt, dass der Mann als die Norm und die Frau als das andere gesehen wird. Weibliche Daten fallen durch die Statistik.

Dies führt teilweise zu haarsträubenden und gesundheitsschädlichen Sachverhalten: Uniformen für Militär und Polizei werden nicht an weibliche Körperformen angepasst (was jeder Bekleidungshersteller für Jeans, Pullover, Hosen, Schuhe macht). Deshalb sind die Uniformen nicht einfach nur ein bisschen unbequem für den weiblichen Körper, sondern teilweise ein Sicherheitsrisiko.

Die Norm ist das Männliche. Der öffentliche Nahverkehr und die Verkehrsplanung sind optimiert für den typisch männlichen Tagesablauf: morgens raus aus dem Speckgürtel und rein in die Stadt zur Erwerbsarbeit, abends wieder raus und zur Freizeit nach Hause. Ein typischer weiblicher Tagesablauf schaut dagegen so aus: morgens raus aus dem Haus, die Kinder in die Schule bringen, weiter zur Arbeitsstelle, nachmittags einen Angehörigen zum Arzt bringen, danach Einkaufen und nach Hause.

Familienarbeit prägt weibliche Lebensläufe

Überhaupt spricht die feministische Autorin Criado-Perez wohltuend und indiskutabel von Care-Arbeit bzw. Familienarbeit als Arbeit. Arbeitende Frauen ist eine Tautologie, ein Pleonasmus, mit zwei Worten dasselbe sagen, ein “weißer Schimmel” der Gender Studies, sagt Caroline Criado-Perez. Denn Frauen arbeiten immer. Nur werden sie nicht immer dafür bezahlt. 

Arbeitende Frauen ist eine Tautologie. Frauen arbeiten immer. Nur werden sie nicht immer für ihre Arbeit bezahlt.

Caroline Criado-Perez

Care-Arbeit und Familienarbeit sind typisch weiblich und so selbstverständlich, dass sie nicht erwähnt wird und in der statistischen Datenerhebung berücksichtigt wird. Und weil man nicht davon spricht und davon ausgeht, dass die „Familienarbeit“ selbstverständlich ist, werden Frauen diskriminiert. Der Gender Data Gap ist bedingt durch Diskriminierung und führt zu Diskriminierung.

Kinder und die notwendigen Kosten gelten im beruflichen Sinn für Privatvergnügen. Während von Firmen die Fahrt- und Übernachtungskosten zu beruflichen Abendveranstaltungen ohne Weiteres übernommen werden, gelten die Kosten für einen Babysitter für alleinerziehende Führungskräfte als Privatvergnügen. 

Die männliche Führungskraft hat eine 100% Babysitterin in Form einer Ehefrau zu Hause.

Fifty-fifty ist nicht gender neutral

“Halbe-halbe” ist nicht gender neutral, belegt die Aktivistin Criado-Perez.

Gemeinhin geht man davon aus, dass wenn man etwas fünfzig fünfzig macht, der Genderneutralität und Gerechtigkeit genüge getan ist. Doch halbe halbe ist nicht immer gerecht. Manchmal brauchen Frauen mehr, damit es gerecht ist.

Halbe-halbe ist nicht immer gerecht. Manchmal brauchen Frauen mehr, damit es gerecht ist.

Caroline Criado-Perez

Ein Beispiel: Öffentliche Toiletten für Frauen sind von ihrer Grundfläche genauso groß wie die öffentlichen Toiletten für Männer. Aber warum ist die Warteschlange vor den Damentoiletten immer länger als vor den Herrentoiletten?

Weil Frauen länger brauchen. Da könnte man gemeinhin einwenden, Frauen sollen halt nicht so viel trödeln. Aber Frauen brauchen nicht länger, weil sie trödeln – sondern aufgrund typischer Eigenarten des weiblichen Körpers, der weiblichen Rolle oder der weiblichen Biografie: 

  • Frauen können keine zeitsparenden Urinale nicht benutzen
  • Frauen haben ihre Tage und müssen Hygieneartikel wechseln
  • Frauen begleiten Kinder und/oder ältere Menschen auf die Toilette

Folglich müssten öffentliche Toiletten – um gendergerecht zu sein – mehr Raum und mehr Toiletten für Frauen zur Verfügung haben, fordert die Aktivistin Caroline Criado-Perez im Buch “Unsichtbare Frauen”. 

Fehlende Daten können lebensgefährlich sein

Ist das schlimm? Na ja, es geht. Während Männer in der Theaterpause im Foyer mit anderen Männern Smalltalken und Netzwerken, stehen Frauen eben an. Smalltalk und Netzwerken können zwar die Karriere fördern. Und beim Plaudern uns Sekt schlürfen hat man mehr Spaß als beim in der Schlange stehen. 

Das ist alles ärgerlich, aber doch nur ein Luxusproblem der westlichen Länder. Viel schlimmer ist es in den Entwicklungsländern. Da stehen manchmal keine oder wenige öffentliche Toiletten zur Verfügung. Darunter leiden Frauen besonders. Sie haben weniger Möglichkeiten der Erleichterung und werden öfter krank. Am schlimmsten aber ist: Weite Wege zu öffentlichen Toiletten erhöhen in diesen Ländern die Gefahren für Frauen – und nur für Frauen, Opfer einer Vergewaltigung oder eines anderen Kapitalverbrechens zu werden.

Gleichberechtigung durch Datenerhebung

Es ist ein Teufelskreis. Wenn weibliche Daten nicht erhoben werden, fließen sie nicht in die Statistik ein und verstärken die schon bestehende Diskriminierung von Frauen. Deshalb fordert die Autorin, Aktivistin und Feministin Caroline Criado-Perez drei Dinge:

  • die Erhebung von Daten
  • und zwar nach Geschlechtern getrennt
  • die Berücksichtigung dieser Daten bei politischen Entscheidungen und Planungen

Der Gender Data Gap führt zur Diskriminierung von Frauen. Frauen verdienen weniger (Gender Pay Gap), leisten mehr Familienarbeit (Gender Care Gap) und sind demzufolge im Alter öfter arm (Gender Pension Gap). Der Equal Pay Day ist eine Fraueninitiative, die weltweit für Gleiches Geld für Gleiche Arbeit eintritt.

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Die Daten machen mich betroffen

Beim Lesen habe ich das Buch „Unsichtbare Frauen“ immer wieder weg gelegt, um die Informationen zu verdauen. Zum einen ist es ein bißchen einseitig, wenn man nur mit Statistiken zugeballert wird – auch wenn sie von der Autorin Caroline Criado-Perez verständlich und unterhaltsam präsentiert werden – und das Buch leicht zu lesen ist. Zum anderen habe ich auch schlichtwegs eine Pause gebraucht, um die Fakten zu verarbeiten. Denn die Fakten sprechen eine solche eindeutige Sprache, wie Frauen unabsichtlich aber systematisch diskriminiert werden. Es ist schlimm, es ist wirklich schlimm.

Beim Lesen von „Unsichtbare Frauen“ ist mir schlecht geworden, ich habe Herzrhythmusstörungen bekommen und Atemaussetzer. Wer eine gute Horrorgeschichte lesen will, muss nicht unbedingt zu Stephen King greifen, sondern kann auch dieses Buch in die Hand nehmen.

Andrea Wiedel

Unsichtbare Frauen – eine Rezension

Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert von Caroline Criado-Perez ist kurzweilig geschrieben, mit interessanten individuellen Geschichten gespickt, die die Leser und Leserinnen ins Erleben ziehen. 

Die Feministin Criado-Perez zeigt in ihrem Buch auch Lösungen auf, wie die Gender Data Gap geschlossen werden kann und Gleichberechtigung vorangetrieben werden kann: zum Beispiel das Vorspielen für ein Bewerbungsgespräch fürs Orchester hinter einem Vorhang, den kostengünstigen Kochherd aus Altmetall, das Klavier mit schmaleren Tasten für Frauenhände und die Stadtplanung von Wien.

Unsichtbare Frauen ist ist ein Must-Read für jede Frau und jeden Mann – und vor allem für Politiker und Politikerinnen. Wenn wir Gleichberechtigung wollen, müssen wir die Datenlücke schließen. Denn es ist ein Buch, dass das Potential hat, die Welt zu verändern.


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Kategorie Buchtipps & Filmtipps

Ich bin Juristin, Kommunikationstrainerin und Coach, Autorin, Hobby-Neurobiologin, Zuhörerin, Freigeist und Bücherwurm. Ich begleite Menschen bei der Überwindung von emotionalen Blockaden hin zu Potentialentfaltung. Unternehmen unterstütze ich bei der Entwicklung einer wertschätzenden Unternehmenskultur. Ich lebe mit meiner Tochter in Bayreuth.

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