„Mama, du bist peinlich!“, sprach meine Tochter im zarten Alter von 7 Jahren zu mir, als ich ihr in der Öffentlichkeit zum Abschied einen Kuss geben wollte.
Ich schmunzelte und antwortete: „Je älter du wirst, desto peinlicher werde ich.“
Heute ist sie 12, ein feengleiches Wesen auf gazellenartigen Beinen und Augenringen wie ein Zombie.
Inhalt
Wenn Eltern peinlich werden
Mir ist klar, dass mein Grad an Peinlichkeit weniger mit meinem Verhalten als mit dem Alter meiner Tochter zu tun hat. Und ich vermute, dass ich meinen Peinlichkeitszenit noch nicht erreicht habe. Denn nicht selten höre ich sie sagen: “Mama, du nervst!”
Dann entgegne ich ihr: “ Ich bin deine Mutter. Es ist mein Job zu nerven.“
Mütter von pubertierenden Kindern, die nicht nerven, haben etwas falsch gemacht!
Eltern, die nicht nerven, haben etwas falsch gemacht
Stellen Sie sich vor: ihre Tochter würde auf ihren gazellenartigen Beinen ins Wohnzimmer tappsen, sich zu Ihnen aufs Sofa kuscheln und Ihnen das Smartphone unter die Nase halten, um mit Ihnen die Inhalte der neuesten Live-Chats zu besprechen. Wenn das so wäre, dann hätten sie etwas falsch gemacht!
Für unsere Kinder im Alter zwischen 3 und 7 Jahren sind wir die Größten. Unsere Kleinen lassen uns an ihrem (Seelen-)Leben teilhaben. Sie laufen zu uns, wenn etwas weh tut und fordern Trost. Wenn sie sich freuen erwarten sie mit Recht, dass wir stolz sind und ihre Freuden teilen.
Die Beziehung zu unseren Kindern ist auf Veränderung angelegt
Die Beziehung zu unseren Kindern ist vom Anfang an auf Veränderung angelegt. Schon bei der Geburt beginnt der langandauernde jahrelange Prozess der Abnabelung. Eine Zeitlang mögen unsere Kinder für uns die vertrautesten Personen sein. Vielleicht sind sie uns sogar so nah, dass wir in unserem Alltag sehnsuchtsvoll nach mehr Freiraum ringen. Unsere Kinder wachsen, entwickeln sich, werden selbständiger und gehen schließlich eigene Weg. Die Beziehung verändert sich und ständig will eine neue Beziehungsqualität verhandelt werden.
Auch Eltern brauchen Empathie
Was hat das mit Gewaltfreier Kommunikation nach Marshall Rosenberg zu tun?
Wenn ich Sätze höre wie „Du nervst!“ oder „Du bist peinlich!“, dann setze ich meine Giraffenohren auf. Giraffenohren sind ein Symbol dafür, dass ich in einen anderen Modus gehe. Und zwar vom Modus des Verurteilens und Wertens in den Modus des Verstehen Wollens. Das ist Empathie oder Selbstempathie und unglaublich hilfreich im Alltag.
Dann höre ich nämlich keinen Angriff, keine Kritik und auch keine Beleidigung. Ich verstehe, dass diese Sätze Ausdruck eines Ringens um Autonomie sind. Teenager (ein etwas nostalgischer Begriff) wollen sich in ihrer Wirksamkeit ausprobieren. Sie setzen ihren Eltern Grenzen, weil sie autonom sein wollen. Außerdem etablieren sie eine Privatsphäre, in der Geheimnisse bewahrt und Intimität geschützt wird. Pubertiere bestehen darauf, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und auch eigene Fehler machen zu dürfen. Junge Menschen üben sich in der Gestaltung eines eigenen Lebens.
Pubertät ist kein einfacher Job
Apropos: Pubertät ist kein einfacher Job, sondern eine umfängliche Herausforderung. Biologische Umstellungen, körperliche Veränderungen, Selbstbehauptung in einer sich verändernden Clique, das Kindsein verabschieden und sich einfinden in der neuen Rolle als Frau oder Mann – und das alles zwischen unregelmäßigen französischen Verben, dem lateinischen Ablativ, Exponentialrechnungen und Schwebebalken.
Ich meine: Lassen wir unsere Kinder in Ruhe pubertieren. Denn wenn sie erwachsen sind, wollen wir mit ihnen Kaffee trinken!