Traumaspuren: Emotionale Wunden heilen mit Empathie

Emotionale Wunden und Traumaspuren heilen mit Tiefer Empathie: Frau tanzt mit Tuch vor Landschaft, fröhlich, lebenslustig, energetisch(c)Myriams_Fotos/Pixabay Traumaspuren und emotionale Wunden heilen mit Empathie

Emotionale Wunden sind seelische Verletzungen in der Kindheit (Entwicklungstrauma). Anders als bislang gedacht, hinterlassen sie Spuren im Gehirn und in den Genen. Doch diese Spuren können auch wieder gelöst werden: mit Tiefer Empathie nach Carl Rogers und Marshall Rosenberg.

Emotionale Wunden sind Entwicklungstrauma

Viele Menschen denken bei Traumata an klassische Schocktraumen nach körperlicher Gewalt, Todeserfahrungen, Krieg und Naturkatastrophen. Dabei können auch überwältigende emotionale Erlebnisse der Kindheit nach dem Stand der Forschung auf unsere Psyche und unseren Organismus traumatisch wirken (Entwicklungstrauma, emotionale Wunden). Dazu können Erfahrungen zählen, die gemeinhin als nicht „schlimm“ eingestuft werden, weil sie zum Alltag gehören. Zum Beispiel war es in den 60er Jahren absolut üblich das Baby schreien zu lassen, ein Kind körperlich zu züchtigen, und ja, dazu zählen auch massive Vernachlässigung, verbale Gewalt, wie permanente Abwertung. Von traumatischen Erfahrungen spricht man, wenn sie den Erfahrungshorizont des Lebewesens überschreiten, überwältigende Emotionen auslösen und das Kind mit dieser Erfahrung emotional allein gelassen wird.

Entwicklungstraumen können im Erwachsenenleben bis zu Depressionen, Ängsten, Zwängen und Suchterkrankungen führen. Ebenso können Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung Symptome für solche Traumen sein: Die Betroffenen finden unbewusst immer wieder Menschen, die sie schlecht behandeln und können sich aus diesen Beziehungen nicht lösen. Oder sie ertragen keine wirkliche Nähe, verkraften wenig Frustration, sind unfähig Konflikte zu lösen und brechen bei Problemen Liebesbeziehungen und Freundschaften eher ab als sich zusammen weiter zu entwickeln. Sie tun sich schwer, ihre Stärken zu erkennen und zu entfalten. Manche haben ein seltsames Gefühl innerer Leere oder werden bei geringen Anlässen von kaum regulierbaren Emotionen (Wut, Ärger, Trauer) überflutet. Sie leiden oft sehr an ihrer Situation.

Emotionale Wunden: Psychotherapie hilft oft nicht

Bei Entwicklungstrauma und emotionalen Wunden greifen Methoden, die hauptsächlich über den Verstand wirken, üblicherweise nicht. Denn diese Traumata haben in den Strukturen des limbischen Systems und des Hirnstamms ihre Spuren hinterlassen, dort, wohin wir kognitiv, mit dem Verstand, nicht weit kommen, um diese Spuren, sprich: das ungünstige Zusammenspiel der Nervenzellen, wieder verändern zu können. Dies kann eher durch Coaching-Methoden oder therapeutische Methoden gelingen, die Emotionen und auch den Körper einbeziehen. Eine noch wenig bekannte Methode ist dabei die „Tiefe Empathie“.

Wie wichtig eine mitfühlende Haltung für die Persönlichkeitsentwicklung ist, erkannte Carl Rogers Mitte des letzten Jahrhunderts durch jahrelange praktische Erfahrungen. Marshall Rosenberg entwickelte den Begriff der Empathie im Kommunikationskonzept der Gewaltfreien Kommunikation weiter, indem er der mitfühlenden Haltung gewissermaßen eine methodische Anleitung zur Hand gab: das konsequente Aussprechen von Gefühlen und Bedürfnissen des Gegenübers. US-amerikanische Trainerinnen wie Robert Gonzales, Sarah Peyton und Susan Skye haben diese Form der Empathie nochmals weiterentwickelt, und zwar zu einem Vorgehen, der ca. 90 Minuten dauert und den sie „Tiefe Empathie“ nennen.

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Tiefe Empathie besteht aus 7 Schritten

Tiefe Empathie beruht zwar auf Carl Rogers und Marshall Rosenberg (Gefühle und Bedürfnisse der Gewaltfreie Kommunikation). Sie geht aber tiefer und weiter.

Der Prozess der Tiefen Empathie besteht im Wesentlichen aus sieben Schritten:

  1. Auslöser
  2. Gedanken
  3. Körperempfindungen
  4. Gefühle
  5. Bedürfnisse
  6. Schönheit der Bedürfnisse
  7. Auslöser checken

Emotionale Wunden: Typischer Ablauf der Tiefen Empathie

Auslöser: Die Klientin bringt eine Situation, die ein aktueller Auslöser für starke Gefühle ist. Die Situation kann banal sein. Wichtig ist die emotionale Betroffenheit der Coachee. Der Auslöser wird in Form einer klaren, objektiven und wertfreien Beobachtung formuliert.

Gedanken: Die Klientin sammelt die Gedanken, die der Auslöser in ihr auslöst (in der GFK nennen wir das die Wolfsshow). Der Coach notiert diese Gedanken und wiederholt sie immer wieder gegenüber der Klientin – langsam und liebevoll. Dadurch „verabschiedet“ sich unser logischer Verstand, der unser Denken üblicherweise dominiert. Und Intuition, bestimmte Emotionen, eine ganzheitliche Körperwahrnehmung treten in den Vordergrund.

Körperempfindungen und Gefühle: Während die Klientin der Wiederholung ihrer Gedanken durch den Coach lauscht, spürt sie in sich hinein: sie nimmt ihre Körperempfindungen und Gefühle wahr. Dabei sind nach unseren Vorstellungen folgende Gehirnareale aktiv: Neokortex, limbisches System und Hirnstamm. Durch die gleichzeitige Beteiligung von Verstand, Gefühlen und Körper erreichen wir eine neuronale vertikale Integration des Traumas.

Bis dahin dauert der Prozess im Normalfall ca. 60 Minuten. Entschleunigung und Raum für Wahrnehmungen und Gefühle sind wesentlicher Teil der „Tiefen Empathie“. Gedanken, Körperempfindungen und Emotionen verändern sich während des Prozesses: manche verlieren an Bedeutung, andere kommen hinzu. Der Coach signalisiert immer wieder, dass alle Gedanken, Körperempfindungen und Gefühle stets willkommen sind (Akzeptanz).

Bedürfnisse und Schönheit des Bedürfnisses: Schließlich sammelt der Coach mit der Klientin mögliche unerfüllten Bedürfnisse. Aus diesen wählt die Klientin jenes Bedürfnis aus, das in ihr am meisten Resonanz auslöst. Der Coach gestaltet mit der Klientin eine lebendige imaginative Vorstellung: entweder eine Situation, in der das Bedürfnis schon einmal erfüllt war. Oder die Klientin stellt sich vor, wie es sich anfühlen würde, wenn das Bedürfnis erfüllt wäre. Da Bedürfnisse stets abstrakt und für alle Menschen positiv sind, kann dies gelingen. Der Coach unterstützt die Klientin sanft darin, das erfüllte Bedürfnis in ihrer Vorstellung mit allen Sinnen zu erleben und zu verankern: was sieht sie, was hört sie, was riecht sie und welche Körperempfindungen hat sie? Diese Vorstellung wird durch viele Wiederholungen gut sinnlich verankert.

Auslöser checken: Schließlich bittet der Coach die Klientin darum, den Auslöser mit der Energie des erfüllten Bedürfnisses zu betrachten. Meist kann die Klientin gelassen bleiben, zumindest stellt sich eine wesentliche emotionale Erleichterung ein. Damit ist der Prozess der „Tiefen Empathie“ abgeschlossen.

Emotionale Wunden und Empathie: Was passiert im Gehirn?

Während der Phase der Wiederholung von Gedanken steigen nicht selten Erinnerungen aus der Vergangenheit auf (Erinnerungsfetzen an emotionale Wunden und Entwicklungstrauma). Dann kann der Coach anstelle der Schönheit des Bedürfnisses eine imaginative Heilung mit dem inneren Kind anleiten. Der Coach lädt die jetzt erwachsene Klientin ein durch Zeit und Raum zu reisen, zu ihrem inneren Kind von damals zu sprechen und es an einen imaginierten sicheren Ort zu bringen.

Meist werden alte Emotionen frei. Dies erfordert eine gute emotionale Resonanzfähigkeit des Coaches, um diese alten Emotionen in ihrer Heftigkeit und Tiefe aufzufangen und auszuhalten. In der Vorstellung der Klientin können schlimme Erfahrungen der Kindheit zu einem guten Ende gebracht werden. Denn unser Gefühlshirn, das limbische System, hat kein Zeitgefühl und kennt weder Vergangenheit noch Zukunft. Deshalb ist es, als ob die alte Erinnerung tatsächlich ein gutes Ende gefunden hätte. Neue neuronale Verbindungen werden geknüpft. Unser Gehirn wird gewissermaßen neu verdrahtet. Nach und nach können wir uns so von einer belasteten Vergangenheit lösen und unsere Zukunft aktiv gestalten.

Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit

Erich Kästner

Die Veränderung in unserem Erleben und unserer Persönlichkeit wird dann nicht vom Verstand gesteuert (top down), sondern kommt von innen ganz von allein (button up), wie das spätere Beispiel zeigen wird.

Manchmal genügt eine Session, um eine nachhaltige Änderung zu erreichen. Bei länger andauernden Erfahrungen braucht es mehrere Sessions. Wir neigen dazu, einmal gemachte Erfahrungen völlig unbewusst im Leben in Endlosschleife zu wiederholen. So spuren sich die alten emotionalen Kindheitserfahrungen immer tiefer in unser neuronales Gedächtnis. Deshalb brauchen ältere Klienten im Normalfall mehr Sessions als jüngere.

Tiefe Empathie an einem konkreten Beispiel

Hier möchte ich ein Beispiel für emotionale Wunden zeigen. Der Auslöser ist banal und erst durch die Tiefe Empathie zeigt sich, dass die Gegenwart mit einer seelischen Wunde in der Vergangenheit verbunden ist.

Beispiel: Eine Klientin , nennen wir sie Anna, konnte sich im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit nicht dazu aufraffen, die notwendige PC-Arbeit zu erledigen. Typische Gedanken waren: Das schaffe ich nicht. Ich bin total blockiert. Ich bin nicht liebenswert. Die Klientin fühlte sich erst schwindelig, später spürte sie Wärme. Arme und Beine waren blockiert. Sie fühlte sich hilflos, ohnmächtig, müde, erstarrt, schwach, allein und einsam. Sie hatte das Bedürfnis nach Veränderung. In ihr stieg eine Erinnerung auf, als sie als sechsjähriges Mädchen von der Mutter ungerechtfertigt ausgeschimpft und als “verträumt” abgestempelt wurde.

Unter Anleitung des Coach reiste die große erwachsene Anna durch Raum und Zeit zu der kleinen Anna von damals. Die große Anna sagte der Mutter die Meinung, dass man so nicht mit Kindern umgehe. Dann nahm sie die kleine Anna an der Hand und gemeinsam gingen sie zu einem Pferdehof. Dort standen Bierbänke und die kleine Anna bekam eine Limo mit Strohhalm. Sie rochen das Heu und den Pferdedung, hörten Stimmengewirr und Pferdegetrappel. Die Sonne wärmte das Gesicht und sie waren entspannt und lachten viel. Nach der Session war die Klientin wie ausgewechselt und setzte sich die folgenden Tage ohne viel Federlesens an den PC, um die notwendigen Dinge zu erledigen. Sogar ihre Kinder sagten: Mama, mit dir ist irgendwas anders.

Die Deutungshoheit hat immer die Klientin. Der Coach lädt mit Fragen zu einem inneren Erleben ein. Und die Antworten kennt nur die Klientin. Niemals darf ein Widerstand der Klienten vom Coach ignoriert werden. Da der Schwerpunkt auf dem inneren Erleben der Klienten liegt, sind die Prozesse der „Tiefen Empathie“ auch am Telefon möglich.

Die Klienten sind zu keiner Zeit genötigt, ihre Erinnerungen auszusprechen. So sind Klienten auch bei schweren Entwicklungstrauma und emotionalen Wunden wie sexuellem Missbrauch vor Re-traumatisierungen geschützt. Ich habe ein großes Vertrauen in die Weisheit unserer Seele, dass sie nur das frei gibt, was gerade zur Heilung bzw. Transformation ansteht. Bei emotionaler Überflutung kann der Coach die Aufmerksamkeit der Klienten durch Fragen von der traumatisch besetzten Erinnerung weg und hin zu Körperempfindungen im Hier und Jetzt lenken.


Raus aus der Scheiße und rein ins Leben? Heile deine emotionalen Wunden und Kindheitstraumata im Coaching mit Empathie. Übrigens: Coaching mit Empathie geht auch am Telefon!

Tiefe Empathie: Wer kann sie lernen?

Meiner Erfahrung nach ist weder eine psychologische noch eine therapeutische Ausbildung notwendig. Unabdingbar sind eine grundlegende Empathiefähigkeit, welche durch Gewaltfreie Kommunikation aber auch durch andere Ausbildungen erworben werden kann. Vor allem Menschen, die selbst Traumatisierungen erfahren haben, können davon profitieren. Denn diese sind bei transformierten Traumata selbst sehr empathiefähig (traumatic growth). Deshalb können sie auch bei sehr starken Emotionen ihren Klienten eine große emotionale Tiefe bieten.

Wirkungen der „Tiefen Empathie“:

Die Integration von emotionalen Wunden, Entwicklungstrauma und anderen seelischen Verletzungen kann folgende Wirkungen zeigen:

  • Reduzierung von negativem Denken, Ängsten und Zwängen
  • nachhaltige Persönlichkeitsveränderung zu mehr Integrität und Ganzheit
  • weniger Reaktivität, bessere Selbstregulation von starken Gefühlen
  • Erhöhung der Beziehungsfähigkeit
  • mehr Lebensfreude

Traumatisierte Menschen schaffen eine traumatisierte Welt. Deshalb ist es mein Anliegen, den Prozess der „Tiefen Empathie“ in die Welt zu tragen. Dann können die vielen emotionalen Wunden, Entwicklungstrauma und seelischen Verletzungen geheilt werden. Denn unabhängig von medizinischen Infrastrukturen können sich Betroffene gegenseitig bei der Heilung von emotionalen Wunden unterstützen.

Der Artikel ist in der Zeitschrift „Praxis Kommunikation“ erschienen.

Mehr zu Emotionale Wunden und Empathie

Hast du das Gefühl, dass du selbst emotionale Wunden aus der Kindheit davon getragen hast? Manchmal ist uns das gar nicht bewusst. Manchmal sind es Ängste, ungute Beziehungen oder Feststecken, Gefühl innerer Leere, Burnout. Tiefe Empathie kann keine psychischen Krankheiten heilen. Wir sprechen von einer „Integration“ neuronaler Strukturen.


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Mit einer guten Kraft an deiner Seite geht vieles leichter.

Übrigens: Coaching mit Empathie geht auch am Telefon!

Möchtest du Tiefe Empathie lernen? Im Seminar „Emotionale Wunden heilen mit Tiefer Empathie“ zeige ich mit Teilnehmern, wie der Prozess geht. Du schaust zu und übst in Kleingruppen unter professioneller Begleitung. So hast du Gelegenheit, auch deine eigenen emotionalen Wunden, Entwicklungstrauma und seelischen Verletzungen zu integrieren. Und mit anderen Seminar-Teilnehmern zu vernetzen. Zusätzlich gibt es Mediationen, damit du dich in Empathiefähigkeit übst. Außerdem erweiterst du durch Theorie das Verständnis für Entwicklungstrauma.

Hier kannst du Tiefe Empathie in einem Seminar lernen

Menschen mit einer Geschichte von vielen emotionalen Wunden sind nicht nur oft unglücklich und erfolglos. Sie sind auch sehr hart zu sich selbst und zu anderen Menschen – oft ohne es zu merken. Du kannst auch selbst etwas für die Integration von emotionalen Wunden tun: Selbstmitgefühl entwickeln.

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