Was haben Saunaliegen mit Kindheitstraumata zu tun?

Frauen auf LiegestühlenFrauen auf Liegestühlen

Streit um die Saunaliege an Silvester

Welche traumatischen Erlebnisse der Kindheit stecken hinter dem Streit um Saunaliegen im Ruheraum? Emotionale Verletzungen in der Kindheit können dazu führen, dass wir auch als Erwachsene einen künstlichen Mangel erleben. Welche Traumatisierungen könnten dahinter stecken? Was sind die gesellschaftlichen Folgen? Warum retraumatisieren wir uns immer wieder gegenseitig?

Keine freie Liege im Ruheraum

Ich gehe an Silvester in die Sauna, ich will frisch geduscht, von innen erwärmt und gut durchblutet ins neue Jahr starten.

Die Liegen im Ruheraum sind belegt – wie immer. Circa 50 Liegen, 20 mit Menschen, 30 mit Handtüchern reserviert. Obwohl mehrere Schilder darauf hinweisen, dass Liegen nicht reserviert werden dürfen und reservierte Liegen abgeräumt werden dürfen.

Ich finde zufällig eine “freie” Liege und lege mich hin. Neben mir sind zwei Liegen mit Handtüchern belegt, auf die sich später ein Mann und eine Frau gelegt haben.

Diese Handtuch-Reserviererei in der Sauna habe ich nie verstanden. Ein Saunagang dauert circa 15 Minuten, dann kühle ich mich noch 5 Minuten ab. Vielleicht hole ich mir noch was zum Trinken oder mache ein Fußbad. Die Menschen sind also circa 20 bis 30 Minuten weg, in denen die Liegen nicht von anderen genutzt werden können.

Da kommt eine Frau, räumt die Liege neben mir ab und legt sich hin. Es war die Liege der Frau.

Mutig, mutig„, denke ich und warte gespannt, was sich noch tut, wenn das Päärchen wieder kommt.

Kindheitstrauma: Da hat mir jemand was weggenommen!

Das Päärchen kommt wieder und sieht, dass die eine Liege jetzt von einer fremden Frau belegt ist.

Der Mann fängt an, die Frau zu beschimpfen:

  • Das war unsere Liege.
  • Sie hätten doch sehen müssen, dass die Liege reserviert war.
  • Sie können doch nicht einfach die Sachen von fremden Menschen abräumen.

Die mutige Frau entgegnet: Aber hier dürfen keine Liegen reserviert werden.

Der Mann: Was soll das denn? Das ist ja unverschämt!

Er wurde immer lauter und aggressiver. Und das im Ruheraum.

Da habe ich mich eingemischt. Ich zeige mit meiner Hand auf das Schild und sage: da, da steht es!

Er: Das ist für heute aufgehoben. Das haben sie uns vorhin gesagt. 

Die fremde Frau lässt sich nicht beirren und sagt: Wir wollen uns doch alle hier entspannen.

Er, empört, stellt die alles entscheidende Frage: Wo soll ich mich denn jetzt entspannen? – wobei er mit seiner Hand auf die vielen Liegen im Ruheraum zeigt- also auf circa 50 Liegen, von denen 20 mit Menschen und 30 mit Handtüchern reserviert sind.

Und ich: Wenn keiner Liegen reservieren würde, dann hätte jeder eine Liege, um sich zu entspannen. Es sind genug Liegen für alle da!

Das Päärchen verlässt den Ruheraum, wobei er wütend vor sich hin schimpft.

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Hat der Mann ein Kindheitstrauma?

Wo haben sich die Traumatisierungen der Kindheit versteckt? Hat der Mann ein Kindheitstrauma, das ihn so denken und handeln lässt? Schauen wir uns das mal an!

Er kommt vom Saunagang wieder und will sich auf “seine” – also die von ihm reservierte – Liege legen. Und eine fremde Frau hat die Liege mit seinen Sachen leer geräumt, um sich selbst dorthin zu legen. Er hat also keinen Platz mehr.

Doch es könnte um mehr als die Saunaliege gehen, wenn er ähnliche traumatische Kindheitserfahrungen gemacht hat. Es können emotionale Wunden der Kindheit getriggert und aktiviert sein. Es könnte um folgende traumatisierende Themen gehen:

  • Habe ich einen festen Platz in der Welt?
  • Darf ich da sein?
  • Habe ich einen sicheren Platz?
  • Habe ich eine Existenzberechtigung? 
  • Bin ich in Sicherheit?
  • Sind meine Grenzen sicher? 
  • Kann ich anderen vertrauen?
  • Muss ich um meine Rechte kämpfen?

Wie kann es zu solchen Traumata kommen?

Wir kennen die Kindheit des Mannes nicht. Stellen wir Hypothesen und denken uns mögliche Beispiele aus.

Entwicklungstrauma: Erstgeborener Sohn muss Platz machen

Stellen wir uns eine andere mögliche Situation in seiner Kindheit vor: Er war erstgeborener Sohn und auf einmal kommt noch ein Baby. Als Kind muss er Platz machen für das Zweitgeborene und verliert seine Privilegien. Er muss Räume aufgeben und hat weniger Platz. Er hat nicht mehr die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Eltern. Es heißt: Du hast jetzt weniger Platz! Du musst teilen lernen!

Emotionales Trauma als Kind: Keine Grenzen haben und keinen Schutzraum zum Spielen

Stellen wir uns einen kleinen Jungen vor, der seine Spielsachen mit stundenlanger Mühe aufgebaut hat, z.B. Eisenbahn, Lego oder Figuren. Und es kommt von der Schule heim und alles ist weg. Die Mutter sagt: „Das stand im Weg und ich habe es aufgeräumt.“ Weg. 

Die ganze Zeit und Mühe und Sorgfalt, umsonst, bloß damit die Mutter Staub saugen oder den Tisch decken kann. 

Und auf einmal geht es nicht mehr um eine Saunaliege des Erwachsenen, sondern darum, dass er als Kind keinen Raum zur Entfaltung hatte und seine Grenzen nicht gewahrt wurden.

Das kann geschehen, wenn die Wohnverhältnisse zu eng sind und/oder die Mutter wenig einfühlsam mit den Bedürfnissen des Kindes ist.

Psychotrauma: Wie ist es bei freier Platzwahl im Theater?

Gehen wir weg vom Ruheraum in der Sauna und gehen wir in ein Theater mit freier Platzwahl. 

Du hast dir einen schönen Platz gesucht. In der Pause belegst du deinen Platz mit einer Jacke oder einer Tasche. Aber als du von der Pause wieder an seinen Platz zurückgehen willst, sitzt schon jemand auf deinem Stuhl – und hat deine Reservierung nicht akzeptiert. Vielleicht warst du rechtzeitig da, hast dir genau diesen Platz reserviert, weil du kurzsichtig, schwerhörig oder etwas dick bist. Und auf einmal, zack, weg. Die Frau sitzt da und grinst dich an. Es geht gleich weiter mit dem Theater, die anderen Zuschauer sind schon ungeduldig und du darfst dir auf die Schnelle einen Platz in der letzten Reihe suchen.

Das “Weggegangen. Platz vergangen” im Theater zutrifft.

Da können wir uns schon eher einfühlen…

Getriggerstes Trauma im Seminar?

Und Robert Gonzales hat bei einem Seminar mal mit einer Frau gearbeitet, dessen Thema war: Ich habe mir jetzt im Seminar einen Platz gesucht und auf einmal kam eine andere Frau und hat mich gefragt, ob ich mir einen anderen Platz suchen kann, das sei ihrer gewesen. Und dann hat er mit diesem Thema gearbeitet – und am Sitzplatz im Seminarraum hingen allgemeingültige Themen dran.

Emotionale Verletzungen wegen der Körpergröße – Darf ich mit 1,90 Meter in der ersten Reihe sitzen?

Oder ich? Ich habe Schwierigkeiten mich im Theater oder Kino in die erste Reihe zu setzen, weil ich immer Angst habe, dass ich von den Menschen hinter mir beschimpft werde. Sie klopfen mir auf die Schulter und sagen: Können Sie sich ein bisschen kleiner machen. Ihr Kopf ist im Weg.

Nach dem Motto: Jetzt ist sie schon so groß und dann setzt sie sich auch noch in die erste Reihe. Deshalb setzte ich meistens an den Rand oder nach hinten.

Manchmal frage ich mich, ob diese Erfahrung nicht Einfluss auf meinen Platz im Leben hat.

Habe ich die Berechtigung, in der ersten Reihe zu sitzen? Darf ich mir was zugestehen und eingestehen? Oder begnüge ich mich im Theater und im Leben mit einem Platz hinten oder am Rand? Weil ich es nicht anders gewohnt bin? 

Ich mache mich klein und begnüge mich mit den billigen Plätzen. Nicht umsonst habe ich selbst mal im Coaching die Affirmation erarbeitet: Ich bin Andrea und ich darf groß sein!

Also wir sehen: Bei Plätzen können alte Wunden der Kindheit getriggert sein. Da werden alte archaische Themen angesprochen.

Hat die mutige Frau auch ein Kindheitstrauma?

Die Frau ist mutig, denn sie nimmt sich ihren Platz, indem sie die Gegenstände eines fremden Menschen in die Hand nimmt und auf die Seite legt. Sie verlässt sich auf die Schilder, auf die Regeln, die die Reservierung von Liegen untersagen und es explizit erlauben, reservierte Liegen zu räumen. 

Das machen nicht viele und nicht oft – denn sonst gäbe es nicht 30 mit Handtüchern belegte Liegen.

Mögliche Trigger Kindheitstrauma: 

Trauma: Familienrolle als kleinstes Kind, das um seinen Platz kämpfen muss?

Vielleicht ist die Frau das letzte unerwartete Kind in einer großen Familie. Ein eigenes Zimmer? Ein eigenes Bett? Das hat es für sie als Kind nicht gegeben. Da musste man zusammen rücken. Da wurde einfach ein Klappbett in das sowieso schon überfüllte Kinderzimmer gestellt. Schau, wo du bleibst. Sie ist es von klein auf gewohnt, ihre Räume einzufordern und Konflikte mit ihren Geschwistern in Kauf zu nehmen.

Traumatisierung: Das fleißige Mädchen

Als kleines Mädchen ist sie fleißig, intelligent, macht ihre Hausaufgaben und hört auf die Lehrerin. Und dann wird sie von den anderen als Streberin beschimpft und von den bösen Jungen auf dem Schulhof verhauen.

Dann könnte es nicht nur um die Saunaliege gehen, sondern um folgende emotionale Wunden aus der Kindheit.

  • Gehöre ich dazu?
  • Wie verlässlich sind Regeln?
  • Darf ich auf Regeln vertrauen?
  • Darf ich mir meine Rechte nehmen?
  • Darf ich mir meinen Platz nehmen?
  • Werde ich ausgeschimpft oder bestraft, wenn ich mir meinen Platz nehme?

Als das Pärchen weg war, habe ich zu ihr gesagt: „Wieso soll das heute nicht gelten? Und sie hat geantwortet: Dann soll mich die Thermen Aufsicht doch schimpfen. Ich habe das nicht gewusst.

Also es geht tatsächlich darum: Wie verlässlich sind Regeln? Darf ich mir meinen Platz nehmen, ohne ausgeschimpft zu werden?

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Kindheitstrauma Gesellschaft

Jetzt möchte ich noch mal das Thema Kindheitstrauma auf der gesellschaftlichen Ebene ausleuchten.

Mein Satz: Wenn keiner Liegen reservieren würde, dann hätte jeder eine Liege zum Entspannen. Es sind genug Liegen für alle da.

Die Argumentation des Mannes: Wo soll ich mich denn entspannen? wird ad absurdum geführt. 

Es ist, als ob er nur auf dieser einzigen Liege entspannen könnte. Er muss eine Liege reservieren, sonst kann er sich nicht entspannen. Das ist eine kindliche und kindische Argumentation.

Grundsätzlich hatte der Mann mehrere Wahlmöglichkeiten: Er könnte eine der anderen Liegen wegräumen uns sich seinen Platz nehmen. Er könnte mit der Frau gehen und sich einen anderen Platz suchen, es gibt ja mehrere andere Räume und Möglichkeiten zu entspannen. Er könnte nach dem nächsten Saunagang noch mal nachschauen, ob dann wieder die ehemals reservierte Liege frei ist.

Er ist nicht mehr im Modus der handlungsfähigen Erwachsenen, der mehrere Möglichkeiten hat. Andere Lösungsmöglichkeiten werden nicht wahrgenommen. Absurd!

Typisch für Traumafolgen ist Folgendes: Der Fokus ist verengt, auf diese eine Liege, die er reserviert hat. Es ist scheinbar die einzige, auf der er entspannen kann. Er bleibt in der Opferhaltung. Er ist auf den Mangel fokussiert, wobei der Mangel noch künstlich ist – denn es gäbe 30 potentielle Liegen.

Er ist unfähig das Bild als Ganzes zu sehen: Es sind immer Menschen in der Sauna, die gerade keine Liege brauchen. Deswegen sind genug Liegen für alle da, wenn alle darauf verzichten würden, Liegen zu reservieren.

Traumatisierte Menschen sind auf den eigenen Mangel und die eigene Bedürftigkeit fokussiert. Sie können nicht mehr das Kollektiv und die anderen sehen. Und das hat Folgen.

Traumatisierung heißt Trennung vom Kollektiv

Trauma heißt Wunde. Eine Traumatisierung entsteht nicht, wenn in einer schwierigen Situation ein anderer Menschen wohlwollend bei mir ist.

Eine schwierige Situation wird erst dann zur Traumatisierung, wenn ich diese Situation allein bewältigen musste. Ich war auf mich allein gestellt. Ich fühlte mich getrennt vom Kollektiv.

Eine Trennung von der Gemeinschaft führt zur Traumatisierung. Und weil ich mich dann dauerhaft und auch als Erwachsener von anderen getrennt fühle, fühle ich mich immer als Einzelkämpfer.

Trauma = Trennung vom Kellektiv – allein sein

Auch als Erwachsener fühle ich mich nicht als Mitglied eines größeren Kollektivs, sondern als Individuum, als Einzelkämpfer. Und weil er sich nicht mehr als Teil der Sauna-Gemeinschaft erlebt, kann er auch mit den anderen entsprechend kommunizieren.

Traumatisierungen machen aggressiv

Schauen wir uns an, wie er mit der fremden Frau spricht: 

Schimpfen

Erstens schimpft er sie aus und regt sich auf. Er markiert das Männchen und hofft, damit sein Recht zu bekommen. Vielleicht kennt er das so aus Beruf und Familie.

Lügen

Zweitens – als er merkt, dass er damit nicht weiterkommt – erfindet er die Ausrede, dass die Regel heute aufgehoben ist. Also eine Lüge!

Rückzug

Drittens – die Frau bekommt Schützenhilfe von mir – tritt er den Rückzug an und fühlt sich dabei als ungerecht behandeltes Opfer.

Kampf- und Überlebensmodus

Es ist eine Eskalation der Kommunikation mit Lügen gespickt. Weil er die anderen als getrennt von sich wahrnimmt – nicht als Teil der Sauna-Gemeinschaft, sondern als Teil eines größeren Ganzen. Daniele Ganser würde hier von einer Menschheitsfamilie sprechen.

Das Denken dreht sich um Recht – und Rechthaberei! Meine Liege! Mein Privileg!

Er muss den anderen vernichten, nur dann kann er überleben. Ein friedliches Miteinander für alle (Wir wollen uns doch alle hier entspannen!) wird weder wahrgenommen noch angestrebt. Er hat den Kampf- und Überlebensmodus von der Kindheit ins Erwachsenenleben übernommen.

Ein solcher Umgang und eine solche Kommunikation hält die kindlichen Verletzungen auch im Leben als Erwachsener aufrecht erhalten. Wir aktivieren und triggern ständig unsere alten Verletzungen der Kindheit. Viele Menschen befinden sich in einer nicht enden wollenden Trauma-Spirale.

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Traumaspirale

Und eine traumatisierte Gesellschaft hält die Traumatisierungen der Kindheit aufrecht. Denn  wir werden als Erwachsene immer wieder von anderen Erwachsenen traumatisiert werden. Eine Traumaschleife sozusagen. Wir erleben Misstrauen, Angst, Neid. Die Kommunikation ist aggressiv und verlogen. 

Wir haben einen verengten Fokus, sehen nur noch das Detail und nicht mehr das ganze Bild (Kollektiv).

Andere Videos zum Thema

Anders mein Video über die Wassermelone, da hat jemand Wassermelone übrig und schenkt mit ein paar scheiben. Wir erleben uns als Kollektiv!

Die Verengung des Fokus kann man mit einer einfachen Übung aus der Osteopathie lockern: In nur zwei Minuten glücklich und entspannt wie ein Baby

Ende

Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht bei Saunaliegen oder Sitzplätzen im Theater oder Seminar? Wie wichtig ist für dich ein fester Sitzplatz? Gehörst du zu den Menschen, die lieber reservieren, obwohl es verboten ist? Oder zu denen, die sich ärgern und sich ihren Platz nehmen und einen Streit riskieren?

Ich freue mich, wenn du deine Erfahrungen mit Saunaliegen, Sitzplätzen im Kino oder Seminare teilst.


Hier geht’s zum Video auf Youtube – einfach auf das Bild klicken


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Kategorie Aus dem Leben, Kindheitstrauma

Ich bin Juristin und Coach. Als Juristin berate ich für einen gemeinnützigen Verein Menschen mit Behinderung - auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Als Coach begleite ich Menschen mit emotionalen Verletzungen dabei, ihre Kindheitstraumata zu bearbeiten und ihr inneres Kind zu heilen. Die Methode ist Coaching mit Tiefer Empathie, die auf der Basis der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg - aber auch nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

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