Andrea Wiedel rät in ihrem Buch „Zuhören ist ein Geschenk“, sich immer in die Gefühlswelt seines Gegenübers hineinzuversetzen. Gleichzeitig warnt sie vor übertriebenem Trösten und ungebetenen Ratschlägen. Ja was denn nun? Wir haben nachgefragt.
Frau Wiedel, was zeichnet ein gutes Gespräch aus?
Ein gutes Gespräch zeichnet sich durch zweierlei Dinge aus: Erstens durch eine Balance zwischen Reden und Zuhören aus und zweitens durch eine emotionale Verbundenheit.
Und was einen guten Zuhörer und eine gute Zuhörerin?
Gute ZuhörerInnen können sich auf ihr Gegenüber einlassen, schenken dem anderen Redezeit, interessieren sich für das, was er/sie zu sagen hat, und reagieren auch emotional.
Was habe ich eigentlich in unserem „Kommunikationszeitalter“ davon, ein guter Zuhörer zu sein? In vielen Diskussionen scheint es ja vor allem darum zu gehen, möglichst viel Redezeit für sich selbst zu erkämpfen.
Und genau das ist das Problem: alle wollen nur reden und keiner will zuhören. Deshalb leiden viele Menschen unter einem extremen Mangel des gehört werdens, des gesehen werdens und des verstanden werdens. Das gilt sowohl für den zwischenmenschlichen als auch für den politischen Bereich.
Das sind aber zutiefst zwischenmenschliche Bedürfnisse, die genährt werden wollen. Wir müssen selbst genährt sein, damit wir andere nähren können.
Viele sind wie ein übervoller Wasserbecher und versuchen ihren Inhalt in einen anderen übervollen Wasserbecher zu entleeren. Dabei laufen alle über, sind am Reden, egal ob mein Gegenüber noch Aufnahmekapazität hat oder nicht.
Stellen Sie sich doch mal eine kontroverse politische Diskussion vor, in der die TeilnehmerInnen erst dann ihre eigene Meinung sagen dürfen, nachdem sie die Meinung der anderen wiederholt haben. Wie das zu einem gegenseitigen Verständnis beitragen würde.
Kommunizieren Frauen und Männer unterschiedlich?
Über dieses Thema könnte man Bände schreiben, ist aber nicht Thema meines Buches. Wichtig ist: sowohl Frauen als auch Männer können Zuhören lernen und es ist für alle wichtig.
Sie schreiben davon, dass Gespräche entweder lösungs- oder prozessorientiert sind. Was versteht man darunter?
Wir sind auf Sachlichkeit getrimmt und vergessen dabei, die emotionale Ebene. Nehmen wir einen Konfliktdialog. Da konzentrieren wir uns auf eine sachliche Lösung, die für alle passt mit dem Ziel einen Kompromiß zu finden. Doch gerade bei Konflikten geht es um Missverständnisse, Ungerechtigkeiten, emotionale Verletzungen. Wenn die mal auf den Tisch kommen und gehört werden, dann findet sich nicht nur schneller eine gute sachliche Lösung, sondern dann sind hinterher auch die Beziehungen wieder stabiler.
Oft raten Sie, dem Gegenüber mit einem positiven Feedback Verbundenheit zu signalisieren. Das fällt nicht jedem leicht. Bei uns in der Oberpfalz heißt es: „Nicht g’schimpft is g’lobt gnua“. Ein No-Go?
Immerhin erlebe ich die Oberpfälzer als ruhig, freundlich und bindungsstark. Aber was wir alle lernen können – egal ob erdiger Oberpfälzer oder neugscheiter Münchner: sprachlich zeigen, du bist mir wichtig, ich hab dich verstanden – und dafür die richtigen Worte finden, das kann man mit meinem Buch lernen.
Das Respektieren, ja bereits das Anhören, anderer Meinungen scheint heute nicht mehr sehr en vogue zu sein. Warum?
Wir leben in einer – ich nenne sie – Monologkultur. Wichtig sind Selbstdarstellung, sich durchsetzen, sich produzieren. Das hat auch seine Berechtigung. Was uns aber oft fehlt sind Menschen, dich sich hinsetzen und uns wirklich zuhören, so wie zum Beispiel Momo aus dem Roman von Michael Ende. Das nenne ich Dialogkultur. Wenn wir davon ein bißchen mehr in unserem Alltag hätten, dann bräuchten wir viel weniger Psychologen und Therapeuten.
Was haben unsere beiden Gehirnhälften mit dem Zuhören zu tun?
Für gutes Zuhören brauchen wir Sachverstand und Gefühle. Diese sind in beiden Gehirnhälften verankert. Deshalb hören wir am besten zu, wenn beide Gehirnhälften gut vernetzt sind: Mit den praktischen Tipps und Beispielen aus dem Buch kann man das gut lernen.
Sie berichten in Ihrem Buch von Kommunikationssperren. Können Sie Beispiele dafür nennen?
Viele Kommunikationssperren sind absolut alltäglich. Leider sind wir uns nicht bewusst, dass wir damit dem Miteinander eher schaden.
Die häufigste Kommunikationssperre sind ungebetene Ratschläge: “Mach es doch so und so!” “Ich an deiner Stelle würde…” “Hast du schon mal das und das probiert?” Eigentlich wollen wir dem anderen helfen, aber der reagiert nur bockig oder resigniert, weil er keine Ratschläge sondern Verständnis braucht.
Eine andere Kommunikationsssperre ist Trösten: “Das ist doch alles nicht so schlimm. Es wird schon wieder.” Aber auch Mitleid nach dem Motto “Ach du arme, das ist aber schlimm.” baut nicht wirklich auf. Trösten und Mitleid gehen zwar auf die Gefühle des Erzählers ein, aber nicht wirklich tief. Das erkläre ich alles anhand von vielen Beispielen.
Oder die gut gemeinte Aussage, “Ich verstehe dich” ist zu intellektuell, bleibt an der Oberfläche und schafft keine wirkliche Verbundenheit zwischen den Dialogpartnern.
Jeder will reden, aber niemand mehr zuhören. Zu diesem Schlusskönnte man kommen, wenn man manche Gespräche mitverfolgt. Dabei ist Zuhören doch so einfach – oder etwa nicht?
Heike Sigel, MZ 17.11.2019
Und was ist wichtig beim guten Zuhören?
Erst mal Redezeit schenken – das ist für Vielredner oft schon eine große Herausforderung. Dann mit meiner Aufmerksamkeit beim anderen sein, einfach nur da sein, wertfrei, ohne Ratschläge oder Kommentare. Mein Interesse kann ich signalisieren, indem ich offene Fragen stelle, die meine Mitmenschen zum Erzählen ermutigen. Alle Menschen wollen mit ihren emotionalen Anliegen gehört und gesehen werden. Da helfen Empathie und empathische Vermutungen, die meinem Gegenüber helfen, mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen in Kontakt zu kommen und sich auszudrücken.
Und was versteht man in diesem Zusammenhang unter emotionaler Resonanz des Zuhörenden?
Wir können es nur schwer aushalten, wenn unser Gegenüber unangenehme Gefühle zeigt, zum Beispiel traurig ist, oder verzweifelt oder wütend. Meistens machen wir dann irgendwas, damit die Gefühle weggehen. Gefühle wollen aber gefühlt werden. Und das wirklich heilende ist, wenn wir ein menschliches Gegenüber haben, das die Gefühle mit uns aushält, uns dabei untersützt, sie da sein zu lassen. Dafür muss man als Zuhörerin auch gar nicht viel machen. Das ist das wirkliche Geschenk des Zuhörens.
Im Kapitel über „Zuhör-Geschenke“ fordern Sie, grundsätzlich empathische Vermutungen anzustellen. Das klingt sehr idealistisch. Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Mitgefühl und Naivität?
Empathische Vermutungen haben nichts mit Naivität zu tun sondern mit menschlicher Reife und emotionaler Kompetenz.
Sie geben Ihren Lesern auch Formulierungstipps für den Alltag. Wie kann ich da authentisch bleiben?
Authentisch sein ist total wichtig. Es bringt absolut nichts, wenn ich mich verstelle und zum Zuhören zwinge. Die vielen alltäglichen Beispiele mit Formulierungstipps geben den Leserinnen Anregungen und Inspiration. Damit sie die Theorie in ihrem Alltag konkret umsetzen können.
Und manipuliere ich meinen Gesprächspartner dadurch nicht auch?
Nein. Ganz im Gegenteil: ich gebe meiner Gesprächspartnerin Raum für ihre Anliegen.
Sie sind gelernte Anwältin. Heute arbeiten Sie als Kommunikationstrainerin. Wie kam es dazu?
Ich habe Tiefgang und Emotion. Jura hat viel mit Tiefgang zu tun aber wenig mit Emotion. Wenn ich Menschen im Training und Coaching mit ihren Gefühlen begleite, zu einer persönlichen Weiterentwicklung und zu besseren Beziehungen beitrage, dann kann ich beide Anteile leben. Und das berührt mich zutiefst.
Zum Schluss: Warum ist Zuhören ein Geschenk?
Das wirkliche Geschenk des Zuhörens ist: ohne Vorurteile und ohne Voreingenommenheit, mich einlassen auf den anderen und auf seine Erlebniswelt. Mein Gegenüber mit seinen Gedanken und seinen Gefühlen annehmen, ihn willkommen heißen in meiner Welt und ein bißchen Weg gemeinsam gehen.
Interview mit Heike Sigel für die Mittelbayerische Zeitung vom 17.11.2019