Im Coaching kläre ich mit Menschen zwischenmenschliche Konflikte – und die dahinterliegende Beziehungsdynamik – egal ob Lebenspartner, Freunde, Nachbarn – oder wie im Fall von Annika der gute alte Bekannte.
Die Frage „Warum meldest du dich denn nicht?“ zeigt nicht immer Interesse an einem Kontakt – sondern kann auch eine emotionale Ohrfeige sein, die Bankrotterklärung emotionaler Kompetenz und das Zusammenbrechen jeglicher Ernsthaftigkeit auf Beziehungsebene. Ein emotionales NoGo. Dies habe ich mit der Klientin Annika reflekiert.
Inhalt
Coaching: das Problem mit dem guten alten Bekannten
Mit einem alten Bekannten hat Annika vereinbart, dass er ihr die Arbeitsplatte für die Küche montiert. Es gab einiges hin und her, weil erst noch Wasser und Elektrik verlegt werden mussten. Dabei hatte ihr der alte Bekannte auch Werkzeug ausgeliehen und sie beraten. Allerdings hatten sie noch keinen Termin vereinbart – obwohl sie ihm mehrmals gesagt hatte, wie wichtig und dringend es für sie ist.
Immer hat er gesagt: Das sehen wir schon noch! Und jedes Mal wenn sie ihn angerufen hatte, hat er den Anruf entgegengenommen mit den Worten “Was willst du denn schon wieder?” Dabei wollte sie nur von ihm wissen, wo und wann sie sein Werkzeug zurück geben kann.
Nach diesem letzten Telefonat hat sich Annika nicht mehr bei ihm gemeldet, sondern darauf gewartet, dass sich der Bekannte wegen einem Termin bei ihr melden würde. Immerhin war es ein offizieller Arbeitsauftrag, den sie auch bezahlen würde und nicht nur eine Gefälligkeit. Annika hatte gedacht, er wäre einfach überlastet.
Doch dann kam der Hammer: Nach 3 Wochen Funkstille erhielt sie von ihm eine SMS mit den Worten: Hallo Annika, was ist los? Warum meldest du dich nicht?
Annika ist aus allen Wolken gefallen und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Kein Wunder angesichts dieser widersprüchlichen Beziehungsdynamik.
Coaching: die chaotischen Gedanken sortieren
Annika buchte ein Coaching, weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Sie war total verwirrt – angesichts dieser chaotischen Beziehungsdynamik. Jegliche Handlung fühlte sich falsch an. Einerseits war sie wütend, weil der Termin seit Wochen (!) im Raum stand und der gute alte Bekannte nicht in die Gänge kam und nun so belanglos daher kam. Andererseits hoffte sie auch darauf, dass er jetzt endlich konkret werden würde.
Annika gingen viele Gedanken im Kopf herum:
- Soll ich jetzt antworten und fragen, wann er wegen der Arbeitsplatte kommt? Er ist ein guter Handwerker ist und seine Arbeit Hand und Fuß hat. Und gute Handwerker findet man heute nicht so schnell.
- Soll ich ihm schreiben oder sagen, dass ich total wütend bin? Weil er sich nicht gemeldet hat und mich hängen gelassen hat? Aber wie wird er dann reagieren?
- Oder soll ich einen anderen Handwerker suchen? Der zuverlässig ist und nicht genervt ist? Aber das ist gar nicht so einfach. Einen guten Handwerker zu finden ist schwer. Und dann weiß ich nicht, wie teuer es ist und ob er nur Pfusch macht? Da habe ich in der Vergangenheit schon die tollsten Sachen erlebt.
- Ich verstehe das alles nicht. Immerhin haben wir auch schon gemeinsam gegrillt. Es ist ja nicht nur ein Auftrag. Wir sind ja auch befreundet.
- Vielleicht ist er nur aus zeitlichen Gründen nicht dazu gekommen ist. Andere sagen auch, dass er immer viel mehr Aufträge annimmt als er bewältigen kann.
- Und ich bin ja auch dankbar, denn bei den anderen Arbeiten hat er mich ja auch unterstützt, indem er mir Werkzeug ausgeliehen. Ohne ihn hätte ich das ganze Chaos und Durcheinander mit der Elektrik nicht geschafft.
- Vielleicht hätte ich ihm gegenüber auch selbstbewusster auftreten sollen!
- Wenn ich mich jetzt gar nicht melde, ist vielleicht auch eine Freundschaft kaputt. Aber ehrlich: im Moment wäre mir das auch egal. So gehe ich doch nicht mit Freunden um!
- Ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll? Jede Reaktion fühlt sich falsch an! Aber gar nichts machen, das geht doch auch nicht.
Annika hätte gern von mir als ihrem Coach, die ultimative und richtige Lösung gehabt.
Beziehungsdynamik: Klärung der Rollen
Aber wie immer im Coaching sage ich nicht, was meine Klienten tun sollen. Das sehe ich nicht als meine Aufgabe an. Da geht auch die Augenhöhe und der Respekt im Coaching verloren. Woher soll ich denn wissen, was für mein Gegenüber richtig und falsch ist?
Aber ich unterstütze meine Klienten nach besten Kräften bei der Entscheidungsfindung, indem ich mit ihnen erst einmal gemeinsam die problematische Situation reflektiere.
Mit Annika habe ich gemeinsam die ambivalente Beziehungsdynamik reflektiert. Was war passiert? Was verwirrt Annika? Warum fühlt sich jede Antwort falsch an?
Dabei will ich gar nicht auf den ruppigen Umgangston des Bekannten eingehen. Denn auf dem Dorf ist der Umgangston meistens rau aber herzlich – wenn hier auch schon grenzwertig zur Beleidigung.
Doch ebensowenig geht es mir ausschließlich um sachliche Ebene der Streitigkeit, dass es keinen kronkten Termin für die vereinbarten Arbeiten gibt. Hier vermischen sich – wie so oft bei Konflikten – sachliche und emotionale Themen.
Und mir sticht die Beziehungsdynamik in Auge.
Was passiert auf Beziehungsebene?
Nach 3 Wochen Funkstille macht also der gute alte Bekannte Annika ein Kontaktangebot – aber was für eines?
Eigentlich könnte man meinen, jetzt ist der Kontakt wieder hergestellt. Annika könnte nach einem konkreten Vorgehen bezüglich der Arbeitsplatte fragen. Und so endlich die Arbeiten abschließen. Oder wissen was los ist.
Aber die Frage des Bekannten in der SMS “Was ist los? Warum meldest du dich nicht mehr?”
- geht nicht auf die handwerklichen Arbeiten ein und was gerade ungeklärt ist
- leugnet jede Verantwortung für das Gelingen der Beziehung (sei es nun Freundschaft oder Termin)
- schiebt Annika die Verantwortung für die Beziehung zu: wenn eine Funkstille, dann sei es die Verantwortung von Annika die Funkstille zu beenden
Für die Beziehung sind immer beide verantwortlich
Der Bekannte ist fein raus, denn er hat den Ball Annika zugeschoben. Wenn sich Annika nicht auf die SMS meldet, dann kann er sagen: Na, du hast dich doch nicht gemeldet! Wie sollen wir denn da einen Termin vereinbaren? Und die Freundschaft pflegen?
In diesem Kontaktangebot schiebt er die Verantwortung für die Beziehung seinem Gegenüber Annika zu. Dabei hatte eine ganz klare Absprache gegeben, dass er die Platte einbauen will. Das heißt, er wäre am Zug zu handeln.
Um es mal bildlich zu sagen:
Wenn wir von einem Ballspiel reden würden: Er kickt den Ball zu Annika. Sie muss jetzt entscheiden, was sie mit dem Ball macht. Dabei hätte er das Tor schießen sollen.
Ich als Coach finde, Annika ist zu recht wütend. Denn das Verhalten des guten alten Bekannten ist eigentlich schon unverschämt.
Er macht zwar ein Kontaktangebot – aber eines, das ziemlich mager ist. Aweng weng, wie wir auf fränkisch sagen würden. Er beendet die Funkstille, sucht Kontakt – aber schiebt den Ball für das weitere Vorgehen und das Gelingen des Miteinanders Annika zu.
Ganz übles Machtspiel!
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Coaching: Beziehungsdynamik verstehen
Im Coaching reflektiere ich das mit Annika. Es hilft ihr zu Verstehen, was auf Beziehungsebene läuft. Sie versteht, warum sich jede Reaktion falsch anfühlt. Denn jede Reaktion würde seine magere SMS als Kontaktangebot akzeptieren. Und ein Schweigen würde bedeuten, sie nimmt den Ball nicht auf. Das Verstehen der Beziehungsdynamik ist also ein erster, wichtiger Schritt.
Manchmal sind Menschen in ihren widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen gefangen. Es ist hilfreich, zu erklären und zu verstehen, was auf Beziehungsebene läuft, mit welcher Beziehungsdynamik wir es zu tun haben.
Aber Verstehen allein reicht nicht.
Im Coaching werden mögliche Handlungsalternativen geklärt
“Und was soll ich jetzt machen?”, fragte mich Annika. “Ich muss doch irgendwie reagieren.”
“Du musst gar nichts!”, erwiderte ich. Auch keine Reaktion ist eine Reaktion. Für das Gelingen einer Beziehung haben immer beide die Verantwortung.
Wenn dem alten Bekannten die Beziehung oder der Arbeitsauftrag wichtig ist, dann kann er auch noch mal eine zweite Whatsapp schicken oder einen Termin für den Einbau anbieten.
Und auch Annika hat Handlungsmöglichkeiten und könnte den Ball aufnehmen, indem sie nach einem Termin fragt oder etwas anderes.
Coaching: Gefühlen Raum geben
Aber jetzt ist es im Coaching Zeit mit den Gefühlen zu arbeiten. Und zu schauen, welche Themen bei Annika angesprochen werden. Denn unter aktuellen Konflikten liegen meistens alte Auslöser. Erfahrungen, die unser inneres Kind schon gemacht haben. Und bei Annika gab es einiges zu durchforsten:
Gefühle
- Hilflosigkeit
- Angst, allein gelassen werden
- sich nicht auf andere verlassen können
- abhängig sein und das fühlt sich nicht gut an
Bedürfnisse, Sehnsüchte, Wünsche
- Sehnsucht nach Verlässlichkeit
- nach einem Gegenüber, das auch die Verantwortung für das Gelingen der Beziehung übernimmt
- nach Beziehungen, die leicht sind
- miteinander reden können und Klärung finden
- respektvolles Miteinander
- Selbstwirksamkeit
- endlich eine funktionelle Küche, in der sie sich gut und selbst versorgen kann
Coaching bringt Leichtigkeit
Nach dem Coaching empfand Annika mehr Leichtigkeit in ihrem Leben. Die Situation hatte sich zwar nicht geändert, aber Annika war wesentlich gelassener.
Sie würde sich ein Küchenprovisorium schaffen mit Gaskocher, so dass der Druck weg ist. Und dann in aller Ruhe den Markt nach Handwerkern suchen.
Ich bat Annika, mich auf dem Laufenden zu halten, wie es mit dem guten alten Bekannten und der Küche ausgegangen ist.
Wie ist es weiter gegangen?
Aber was sollte sie mit dem guten alten Bekannten machen?
Annika entschied sich, ihrem guten alten Bekannten noch eine Chance zu geben und schickte ihm eine SMS: “Du wolltest dich doch melden wegen der Küche!”
Mit dieser Antwort kickt Annika den Ball elegant und ohne großes Drama zurück.
Doch leider kam daraufhin keine Reaktion. Keine Reaktion ist auch eine Reaktion.
Damit war es für Annika total klar, dass da kein Ernsthaftigkeit und kein Engagement da ist. Sie konnte damit sehr gut umgehen. Jetzt wusste sie, wie sie mit dem guten alten Bekannten dran war. Heiße Luft und sonst gar nichts.
Sie hörte sich im Bekanntenkreis um auf der Suche nach einem Handwerker. Das hat einige Zeit gedauert, denn sie hat nicht den nächstbesten genommen. Sie hat Angebote eingeholt und auf ihre Gefühle gehört. Und jemanden gefunden, der ihre Küche zuverlässig eingebaut hat.